„Menschen,
die sowohl eine Krebserkrankung als auch eine Depression durchgemacht
haben, berichten, die Depression sei schlimmer gewesen. Denn es gibt
kaum ein anderes Leiden, das mit so einem großen Verlust an
Lebensqualität einhergeht.“
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Fassungslos
lässt einen diese Aussage zurück. Welches extreme
Zerstörungspotenzial das Krankheitsbild der Depression in sich
trägt, wird den Lesern dieses Bandes schonungslos vor Augen geführt.
Detailliert schildert Gregor S. die Symptomatik der Krankheit, bei
der sich tagtäglich neue Tiefen auftun. Wie ein einziger, nicht
enden wollender Horrortrip erscheint das alltägliche Erleben des
Betroffenen, eine Aneinanderreihung zutiefst destruktiver Gedanken
und Selbsteinschätzungen.
Dabei
macht der Text unmissverständlich auf ein Faktum aufmerksam:
Depression
ist keineswegs ein Zeichen mangelnden Intellekts! Denn der Betroffene
ist hochgebildet, verfügt über mehrere Universitätsabschlüsse,
sogar einen Doktortitel. Und dennoch wurde er aufs Heftigste von
dieser Krankheit befallen, die sein Leben zu zerstören drohte.
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Glaubt
man den Prognosen der WHO, wird die Depression im Jahr 2020 zu den
häufigsten psychiatrischen Krankheiten weltweit gehören. Umso
wichtiger ist es, Entwicklungsstadien der Krankheit zu kennen und
Betroffene zu verstehen. Gerade auch vor dem Hintergrund der
Stigmatisierung, die Patienten leider auch in unserer heutigen,
aufgeklärten Zeit erdulden müssen. Würde Gregor S. unter einer
vergleichbaren Krankheit fernab seines psychischen Zustandes leiden,
wäre die Wahl eines Pseudonyms wohl kaum von Nöten gewesen. Doch
die Depression ist, trotz der Erkenntnis fehlerhafter, biochemischer
Vorgänge im Gehirn, immer noch negativ besetzt als Zustand der
Schwäche.
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Viele
Betroffene werden sich in seinen Schilderungen wiedererkennen, sich
mit jedem Satz, jedem Wort identifizieren können. Der Zustand der
Wertlosigkeit hat dabei viele Gesichter. Gregor berichtet über den
Schmerz, andere lachen zu sehen und selbst den Grund der eigenen
Traurigkeit nicht zu kennen, über das Gefühl des Verlorenseins,
über körperliche Beschwerden und den inneren Druck, der alles
unerträglich macht.
Zahlreiche
Nebenwirkungen der Krankheit werden verständlich geschildert. Seien
es Schuldgefühle, die Scham vor sich selbst oder die Angst vor dem
Wachbleiben bei gleichzeitiger Unfähigkeit einschlafen zu können.
Eindrucksvoll erlebt man die negativen Gedanken des Schlaflosen
inmitten der Nacht. Gregor lebt in einer Beziehung, ist allerdings
nicht mehr dazu in der Lage, positive Emotionen wie Liebe, Nähe oder
Vertrauen wahrzunehmen. Trotz der Zweisamkeit fühlt er sich alleine
und schließt Suizid nicht mehr aus. Dabei könnte er objektiv
betrachtet, glücklich sein. Doch die Omnipräsenz der Krankheit
raubt ihm jeden Lebensmut, mit der Zeit helfen “innere Ausflug in
die heile Welt der Vergangenheit“ nicht mehr weiter. Gregor selbst
empfindet sich als “Ambivalenz in Person. Nicht stimmig. Wertlos.“
Doch er gibt den Kampf gegen seine Krankheit nicht auf.
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Gregor
S. litt bereits schon einmal unter Depressionen. Dieser Text ist der
Erfahrungsbericht eines schlimmen Rückfalls 14 Jahre später.
Plötzlich und unvermittelt wurde er als erfolgreicher Mensch Opfer
dieser alles zerstörenden Macht. Ein Leben am Abgrund.
„Was
ist nur los mit mir? Vor drei Monaten wurde meine innere Welt vom
Nebel verschluckt.“
Hochinteressant
sind in seiner tagebuchartigen Aufzeichnung vor allem auch die
Rückblenden in eine unbeschwerte Zeit, in der er das Leben in vollen
Zügen genießen und Glück empfinden konnte. Aber auch Rückblenden
in die Zeit des ersten Ausbruchs der Krankheit bieten dem Leser
allerhand Reflexionsstoff.
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Fazit:
Das Buch ist ein wichtiger Beitrag, die Krankheit psychologisch zu
verstehen. Darüber hinaus fungiert er als Orientierung und Halt für
andere Betroffene. Gregors Empfindungen, sein Tagesablauf, seine
Erlebnisse zeigen ihnen, dass sie in ihrem Denken und Fühlen nicht
alleine sind, dass es Hoffnung geben kann. Hoffnung, den persönlichen
D-Day entsprechend zu gestalten. Auch aus psychologischer Sicht ein
hochinteressanter, wertvoller Text!
Überaus
empfehlenswert!
5 Sterne!